Eine Chance für Region und Menschen: Präsidentin Susanne Staude über die Hochschule Ruhr West

Mitten im Ruhrgebiet wurde 2009 die Hochschule Ruhr West gegründet. Als lokaler Wissensträger soll sie den Menschen und Unternehmen in der Region neue Chancen in einem Strukturwandel bieten. Susanne Staude steht als Präsidentin an der Spitze der jungen Hochschule und erzählt im Interview, wie ihre Hochschule mit dieser Verantwortung für die Region umgeht.

19.08.2022

von Isabella Zick

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Welche gesellschaftliche Verantwortung tragen Universitäten und Hochschulen? Im Fall der Hochschule Ruhr West (HRW) ist das glasklar: Die 2009 gegründet Hochschule soll im aktuellen Strukturwandel des Ruhrgebiets Chancen ermöglichen – für die Menschen und die lokale Wirtschaft. Wie erfüllt man aber eine derartige Erwartungshaltung einer ganzen Region und wie sorgt man im Großen wie im Kleinen dafür, dass Menschen ihr Potenzial entfalten können? Darüber haben wir mit Prof. Dr.-Ing. Susanne Staude, Präsidentin der Hochschule Ruhr West, gesprochen.

Frau Prof. Dr.-Ing. Staude, um einen kleinen Einblick in Ihre Hochschule zu bekommen: Wie würden Sie die Gemeinschaft zwischen Studierenden, Lehrenden und mitarbeitenden Personen an der Hochschule Ruhr West beschreiben?

Susanne Staude: Was an unserer Hochschule besonders ist, ist, dass wir noch sehr jung sind. Wir wurden 2009 mit dem klaren Ziel gegründet, eine sehr enge Verbindung zwischen den Beschäftigten und auch mit den Studierenden zu pflegen. Wir wollen “nah dran” sein an den Studierenden. Und wir wollen mit unserer Region verbunden sein, mit der wir eng zusammenarbeiten. Die HRW ist mitten im Ruhrgebiet und hier sind wir sehr verwurzelt. 

Ihre Hochschule verfolgt neben dem Slogan “Never stop growing” auch eine “Vision der Hochschule der Chancen”: Was ist eine “Hochschule der Chancen” und wie kommt man da hin?

Wir wurden gegründet, um den Strukturwandel im Ruhrgebiet zu begleiten. Wir möchten den Menschen hier die Möglichkeit geben, ihr Potenzial zu entwickeln. Das geben wir natürlich in erster Linie an unsere Studierenden weiter, aber auch an die Beschäftigten – wir sind ja auch eine große Arbeitgeberin in der Region. Eigene Ideen einbringen und mitgestalten – diesen Freiraum wollen wir den Personen an unserer Hochschule geben.

Wie unterstützen Sie Ihre Studierenden dabei, ihr Potenzial zu entwickeln?

Viele unserer Studierenden kommen aus Familien, in denen vorher noch niemand studiert hat. Die Hälfte hat einen Migrationshintergrund. Sie kommen vielfach nicht von Gymnasien sondern von Berufskollegs. Der Schritt in die Hochschule ist hier ein größerer, als wenn man – so wie ich – aus einer bürgerlichen Familie und vom Gymnasium kommt. Wir finden es so toll, dass unsere Studierenden so sind, wie sie sind. Wir sind uns aber auch den Herausforderungen der Studierenden bewusst sind und tun alles, um sie ideal zu begleiten.
Wir sagen unseren Studierenden: Die Chance liegt in deiner Hand und wir glauben daran, dass du sie ergreifen kannst und erfolgreich sein wirst. Natürlich müssen die Studierenden das noch immer selbst machen, aber wir können ihnen die Möglichkeiten bieten. Das ist ganz viel Haltung, Unterstützungsangebote und da gehört auch dazu, die Hochschule zu einem Ort zu machen, an dem die Leute gerne sind.

Mülheim an der Ruhr (Nordrhein-Westfalen) – Hochschule Ruhr West, Campus Mülheim an der Ruhr – Foto: Steffen Schmitz

Die Verantwortung für die Menschen und die Entwicklung der Region wurde der Hochschule Ruhr West also quasi in die Wiege gelegt. Wie kam es dazu, dass die Hochschule gegründet wurde?

Die Initiative für die Hochschulgründung ging von den Unternehmen hier in der Region und den Städten aus, die den Strukturwandel in ihrem täglichen Handeln spüren. Wenn man eine Region nach vorne bringen möchte, ist es wichtig, dass man sich mit den Herausforderungen beschäftigt und das Potenzial der ganzen Region nutzt. Man kann nicht ignorieren, dass viele Jobs – zum Beispiel in der Stahlindustrie – gerade verloren gegangen sind und sich der Markt enorm verändert. Sich auf diese Veränderungen einzustellen ist für uns eine Selbstverständlichkeit.

Mit welchen konkreten Ideen versuchen Sie, diesen Anspruch der Region zu erfüllen?

Wir bieten zum Beispiel duale Studien an: Die Studierenden machen parallel eine Berufsausbildung und studieren bei uns. Die Inhalte aus Berufsausbildung und Studium sind aufeinander abgestimmt. Generell haben alle unsere Studierenden während des Studiums eine Praxisphase und sind da auch ganz oft in den regionalen Unternehmen. Darüber fließt übrigens auch viel Information zurück in die Studiengänge, was die Unternehmen aktuell brauchen. Da haben wir eine sehr enge Verzahnung.

Die Studierenden haben also sowohl die Praxiserfahrung in den Unternehmen als auch die Lerngemeinschaft an der Hochschule. Das Zusammenkommen am Campus war aufgrund der Pandemie sicher auch bei Ihnen schwierig, oder?

Definitiv. Ich glaube, wir haben in den letzten beiden Jahren alle den Wert von persönlichem Austausch gesehen. Um den Austausch zu befördern, sind wir gerade dabei, unsere Räumlichkeiten zu überdenken. Wir wollen mehr Lern- und Aufenthaltsflächen für die Studierenden schaffen, damit unser Campus noch attraktiver wird. Auch bei den Beschäftigten muss es andere Lösungen geben, die offene Kommunikation fördern – also nicht Einzelbüros mit der Tür zu oder Seminarräume, in denen die Bestuhlung schon vorgibt, dass einer vorne redet und alle anderen nur zuhören.

Welche Vorteile hat man bei dieser Gestaltung als jüngere Hochschule?

Ehrlich gesagt gibt es hier eher einen Nachteil: Wir sind jung und eigentlich ist die ganze Ausstattung neu. Da ist es nicht wirklich vermittelbar, dass wir nach nur zwölf Jahren schon wieder umgestalten und Sachen austauschen wollen. Unser Vorteil ist aber, dass wir immer noch einen hohen Anteil an Kolleg*innen haben, die die Hochschule gemeinsam mit aufgebaut haben. Wir haben diesen Aufbau-Spirit. So nach dem Motto: “Wir schauen mal, probieren aus, sind Provisorien gewohnt und wissen, dass man auch mit wenigen Mitteln tolle Sachen machen kann.” Diese Offenheit für Veränderung macht vieles einfacher.

Ihre Hochschule ist jetzt zwölf Jahre alt. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Hochschule Ruhr West?

Für die Zukunft habe ich zwei Wünsche: Wir haben uns als Vision gesetzt, eine echte Entrepreneurial University zu werden. Wir wollen unseren Studierenden und unseren wissenschaftlichen Beschäftigten mit auf den Weg geben, dass es in ihrer Hand liegt, Dinge zu verändern. Sie sollen die Werkzeuge für Veränderung, den Mut, die Bereitschaft, die Reflexionsfähigkeit mitnehmen. Wir wollen dazu ermutigen, Dinge auszuprobieren und zu verändern – zum Positiven für die Gesellschaft.
Der zweite große Punkt ist das Thema Nachhaltigkeit. Ist mein Handeln nachhaltig im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele? Wie leiste ich einen positiven Beitrag zu unserer Gesellschaft? Wir bieten verschiedene Studiengänge rund um die Themen erneuerbare Energien und Umwelttechnik an. Damit sind wir am Puls der Zeit – damit unsere Studierenden einmal die Dinge selbst in die Hand nehmen können.

Prof. Dr.-Ing. Susanne Staude - Foto: HRW

Nach mehreren Stationen in England und Deutschland wird Prof. Dr.-Ing. Susanne Staude 2011 Teil der frisch gegründeten Hochschule Ruhr West. Staude hat an der HRW eine Professur im Bereich Thermodynamik und Fluidenergiemaschinen am Institut Energiesysteme und Energiewirtschaft inne. Nach mehreren Jahren als Vizepräsidentin für Studium und Lehre wurde Susanne Staude 2019 zur Präsidentin der HRW gewählt.

Die Hochschule Ruhr West wurde 2009 gegründet und bildet Studierende in den Bereichen Informatik, Ingenieurwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre aus. Rund 6500 Studierende studieren an den beiden Standorten im Westen des Ruhrgebiets.

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