Künstliche Intelligenz in der Hochschullehre: Studieren mit ChatGPT und Co.

Wie beeinflusst Künstliche Intelligenz das Studieren schon heute und wie wird sich die Lehre an Hochschulen künftig dadurch verändern? Darüber haben wir mit Martin Nöllenburg, Professor an der TU Wien, und Christiane Varga, Trend- und Zukunftsforscherin und Lektorin an der FH JOANNEUM, gesprochen.

11.07.2023

von Isabella Zick

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Ganze wissenschaftliche Arbeiten aus dem Ärmel schütteln, in Sekundenschnelle Software entwickeln oder Designs in jeder Stilrichtung ausspucken – all das kann Künstliche Intelligenz. Vermeintlich. Doch werden KI-Systeme wie ChatGPT und Co. Studierenden tatsächlich das Lernen und Lösen von Aufgaben erleichtern? Und wie verändert sich die Lehre an Hochschulen schon heute, um für die Zusammenarbeit mit Künstlicher Intelligenz gerüstet zu sein?

Wir haben darüber mit zwei Personen gesprochen, die sich mit Künstlicher Intelligenz (KI) zum einen in der Lehre, zum anderen in ihrer Forschung beschäftigen: Univ.Prof. Dipl.-Inform. Dr.rer.nat. Martin Nöllenburg ist Professor an der Technischen Universität Wien und forscht zu Entwurf und Analyse von Algorithmen. Aktuell arbeitet er mit zwei weiteren Kollegen an einem Projekt, das untersucht, welche Auswirkungen KI-Werkzeuge wie ChatGPT auf die Lehre an seiner Fakultät haben. Neben ihrer Funktion als Lehrbeauftragte für Design Research an der FH JOANNEUM arbeitet Mag. Christiane Varga als Trend- und Zukunftsforscherin in Wien und beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Facetten der Frage „Wie leben wir in Zukunft?“.
Wie lehren und studieren wir in Zukunft? Darauf wird der Fokus in den folgenden beiden Interviews liegen:

Martin Nöllenburg und Code-generierende KI

Herr Nöllenburg, was bedeutet KI, die Code generiert, für Studierende im Bereich der Softwareentwicklung?

Code-generierende KI-Systeme sind ein sehr mächtiges neues Werkzeug gerade in der Softwareentwicklung. Wie auch andere unterstützende Werkzeuge aus der Vergangenheit, die heute Standard sind, wird KI die Arbeit für Programmierer*innen komfortabler gestalten. Mit KI-Unterstützung lassen sich ganze Programmteile und komplexere Funktionen automatisch generieren. Allerdings steht die Informatiklehre hier natürlich vor vielen neuen Herausforderungen.

Welche Herausforderungen sehen Sie hier konkret?

Wenn die Studierenden es sich zu leicht machen und Programmieraufgaben im Studium von der KI lösen lassen, dann fehlt es ihnen später an den notwendigen Grundlagen. Natürlich müssen zukünftige Software-Entwickler*innen mit den neuen Werkzeugen umgehen können. Sie müssen aber auch weiterhin ein fundiertes “manuelles” Verständnis für den Code haben und dafür sorgen, dass selbst geschriebener Code und generierter Code reibungslos zusammenarbeiten und tatsächlich korrekt sind. Also sollten die Studierenden in ihrem eigenen Interesse der Versuchung, bei den Grundlagen zu schummeln, widerstehen.
Man kann es vielleicht mit dem Pilotenjob vergleichen: Auch wenn Autopiloten in den Linienfliegern schon länger den Großteil der Arbeit übernehmen, müssen die Pilot*innen jederzeit in der Lage sein, in kritischen Situationen schnell und sicher einzugreifen.

Wie werden Sie Ihre Lehre im Hinblick auf den Einsatz von KI verändern?

In der Lehre können und müssen wir in Zukunft auch komplexere Aufgaben und Programmierprojekte erstellen, die dann in der Zusammenarbeit mit KI-Systemen zu lösen sind.

Allgemein muss in den Programmier- und Software-Engineering-Veranstaltungen auf jeden Fall auf die neuen KI-Systeme eingegangen werden. Die Studierenden sollen ja den verantwortlichen Umgang damit lernen. Gleichzeitig werden die Lehrenden stärker in 1-zu-1-Situationen mit den Studierenden interagieren müssen, um z. B. das umfassende Verständnis für den produzierten Code zu prüfen.

Wie stark werden diese Tools die Leistungen der Studierenden beeinflussen?

Wenn die Prüfungsformate nicht angepasst werden, dann werden die Studierenden vermutlich, oberflächlich betrachtet, im Schnitt bessere Leistungen erbringen. Daher ist es wichtig, die Aufgaben so zu gestalten und die Leistungen so zu bewerten, dass tatsächlich die eigenen Beiträge der Studierenden gemessen werden und nicht die einer KI im Hintergrund.

Wie werden generierende Künstliche Intelligenzen in Zukunft die Bildungslandschaft verändern?

Hier gibt es mittelfristig ein sehr hohes Potenzial für Veränderungen. Dort wo die neuen KIs stark sind, nämlich bei der Erstellung von gut formulierten Texten und einfacheren Programmbestandteilen, wird die Qualität der Abgaben steigen. Es werden dadurch aber auch ganz neue ethische oder rechtliche Fragen aufkommen, die in der Lehre relevant werden: Wie sieht es mit der Verantwortung für KI-generierten Code aus? Wer haftet für Fehler? Wie sieht es urheberrechtlich aus, wenn die KI Trainingsdaten von Menschen nutzt, um statistische Modelle zu bilden? In fast allen Lehrveranstaltungen wird es daher Veränderungen geben müssen und der Einsatz und die Folgen der Nutzung von KI sollten eine entsprechende Rolle spielen.

Wie sieht die Informatik-Lehre der Zukunft aus?

Das ist natürlich eine schwierige Frage. Derzeit erfährt die KI einen Hype, aber das wird sich dann auch wieder normalisieren. Neue KI-Tools werden einen Platz in der Lehre finden, bestimmte Aufgaben übernehmen und neue Themen prägen. Aber wir Menschen sind am Ende doch soziale Wesen und darin liegt unsere Stärke. Vielleicht sorgt die Entwicklung am Ende ja sogar dafür, dass die Lehrenden mehr Zeit für die direkte Interaktion mit den Studierenden haben werden?

Foto: Claudia Vitt

Martin Nöllenburg promovierte 2009 in Informatik am Karlsruher Institut für Technologie, die Habilitation erfolgte 2015. Kurz danach kam Nöllenburg nach Wien und ist dort seit 2015 Professor in der Gruppe Algorithmen und Komplexität an der Technischen Universität Wien. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit Graphenalgorithmen, computergestützter Geometrie sowie Algorithmentechnik und kombinatorischer Optimierung.

Christiane Varga und KI in der Kreativbranche

Frau Varga, welche Potenziale sehen Sie grundsätzlich in Künstlicher Intelligenz für unsere Gesellschaft?

Künstliche Intelligenz kann ein sehr spannendes Thema sein, wenn man es nicht so isoliert betrachtet. Wir tendieren gerade jetzt dazu, uns wirklich nur die KI anzuschauen – aber richtig spannend wird es aus meiner Sicht, wenn wir das in der Wechselwirkung zu uns Menschen betrachten.

Also wo steht die KI und wo positionieren wir uns als Menschen?

Genau. Ich denke, dass diese Entwicklungen uns auf unser Menschsein zurückwerfen und uns ganz wesentliche Fragen stellen lassen: Was macht uns als Menschen aus? Wo unterscheiden wir uns von Künstlicher Intelligenz und wo nicht? KI lässt uns nun sehr viele Fragen stellen, die wir uns in den letzten Jahren oder Jahrzehnten gar nicht gestellt haben.

An welche Themen denken Sie hier?

Zum Beispiel, dass wir im Arbeitsprozess gerade in der westlichen Welt dazu geneigt haben, uns fast schon selbst zu robotisieren. Der Fokus lag sehr stark auf Produktivität – in vielen Bereichen, auch in der Kreativbranche. Und jetzt stellt sich zurecht die Frage: Wo kann Künstliche Intelligenz uns vielleicht Prozesse abnehmen, die repetitiv sind? Denn dann könnten wir wieder wirklich kreativ werden und auf ein neues Level, direkt in die Arbeit, einsteigen.

Sie sind FH-Lektorin im Bereich Design Research. Welchen Einfluss wird Bild-generierende KI auf Ihre Lehre und Ihre Studierenden haben? 

Bei Künstlicher Intelligenz im Hochschulbereich muss man sich grundsätzlich fragen, wer das Tool nutzt. Wenn Menschen, die gerade erst in der Ausbildung sind, KI einsetzen, dann läuft man Gefahr, etwas zu überspringen. Man möchte eine Abkürzung nehmen, die einem aber nicht gut tut – schließlich soll man in dieser Phase lernen und ausprobieren. Lernen und Ausprobieren ist anstrengend – man läuft ja auch keinen Marathon ohne Training – aber dadurch erreiche ich ein Gefühl der Selbstermächtigung.

Für meinen Bereich heißt das: Ich kann nur dann eine gute Designerin oder ein guter Designer werden, wenn ich eine solide Basis habe. Wenn ich als Student*in sofort Künstliche Intelligenz einsetze, überspringe ich Teile des Lernens und das fällt mir früher oder später auf den Kopf. Deshalb: KI gerne ausprobieren und herumspielen. Aber als Lehrende muss man auch klarstellen: Das ist nur ein Werkzeug – und wir arbeiten auch ohne.

Welche Potenziale und Risiken sehen Sie konkret für Studierende durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz?

KI kann uns unliebsame, standardisierte Prozesse abnehmen, aber sie kann uns natürlich auch dazu verleiten, Abkürzungen zu nehmen – das ist vor allem für Lernende nicht gut. Das müssen Studierende aber selbst erkennen. Ihnen KI mit erhobenem Zeigefinger zu verbieten wird nicht funktionieren.

Wie werden sich technologische Entwicklungen wie KI auf die Hochschullandschaft auswirken? Wird das die Zukunft des Studierens stark beeinflussen?

Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT und Co. sind wirklich etwas komplett Neues. Ich denke, dass es hilfreich sein könnte, zuerst einmal für die Lehrenden den einen oder anderen Kurs anzubieten und den Austausch über das Thema noch viel stärker zu fördern.

Generell denke ich, dass diese Entwicklungen eine gute Chance sind, die ganze Lehre wieder menschlicher zu machen. Dass wir Fragen stellen wie, was macht uns Menschen aus? Was ist Kreativität wirklich? Hier braucht man auch den Austausch mit anderen und gegenseitige Inputs. Deswegen sehe ich die Zukunft der Hochschule auch wieder verstärkt in der Interaktion. Man muss multidisziplinär sein, Menschen aus verschiedenen Branchen mit an Bord holen, im Netzwerk forschen und lehren – nicht so isoliert.

Vielen Dank für das Gespräch.

Christiane Varga ist Trend- und Zukunftsforscherin, Vortragende und Autorin. Als Lehrbeauftragte unterrichtet sie an der FH JOANNEUM in Graz „Design Research“ am Masterstudiengang Industrial Design. Durch ihr Studium und ihre Arbeit als Trend- und Zukunftsforscherin stellt sie stets die Frage „Wie leben wir in Zukunft?“ in den Fokus – mit einem ganzheitlichen Blick auf den gesellschaftlichen Wandel.

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