Barbara Zuliani ist Lehrende mit Leib und Seele. Egal ob im Unterricht mit ihren Volksschüler*innen oder in den Hörsälen der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz (PHDL). Besonders der Umgang mit digitalen Medien im Hochschul- und Schulbereich ist Zuliani ein großes Anliegen – ein Themengebiet, dem sie auch ihre Dissertation gewidmet hat. Im Interview erzählt sie von ihrem jüngsten Projekt, wo Studierende ganz konkret Lehrerinnen, Schülerinnen und deren Eltern in der gegenwärtigen herausfordernden Situation unterstützen können. Außerdem sprechen wir über die wichtigsten Voraussetzungen für gelungene Distanzlehre bei Schüler*innen und Studierenden und die Wichtigkeit von Medienkompetenz im gesamtgesellschaftlichen Kontext.
Danke, dass Sie sich für das Interview Zeit nehmen. Beginnen wir gleich mit Ihrem jüngsten Projekt, der Eduthek. Was ist die Idee hinter diesem Projekt?
Barbara Zuliani: Die Eduthek ist eine Plattform des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, an dem das Ministerium schon länger mit einem Redaktionsteam arbeitet. Aufgrund der Corona-Krise wurde ein Teil der Eduthek für alle Schüler*innen und deren Eltern bzw. Erziehungsberechtigten und Lehrkräfte ohne Login für die Elementarstufe, die Primarstufe, die beiden Sekundarstufen freigeschaltet. Für den Primarschulbereich haben meine Studierenden aus den höheren Semestern mit ihrer Expertise als Pädagog*innen unterstützend mitgeholfen, damit die Eduthek sehr schnell mit lehrplankonformen Unterrichtsmaterialien für den Primarschulbereich bestückt wird. Heute ist die Eduthek ein Nadelöhr, wo Lehrer*innen alles für den Online-Unterricht finden, aber auch Eltern und Schüler*innen viele Inhalte für das Lernen daheim abrufen können.
Die Studierenden haben hier also tatkräftig mitgeholfen. Was konnten sie bei der Recherche für die Eduthek lernen?
Zuliani: Für das Projekt wurde institutsübergreifend und gemeinsam mit den Studierenden der PHDL nach Materialien gesucht. Schnell entstand eine Wissensdatenbank, die dann auch in Echtzeit überprüft und veröffentlicht wurde. Für die Studierenden war es eine gute Übung, weil sie bei der Auswahl der Materialien sehr kritisch evaluieren mussten. Kann ich das Eltern zumuten? Versteht man diesen Arbeitsauftrag? Welche Voraussetzungen braucht man für eine Übung? Diese Fragen mussten sich die Studierenden bei der Recherche stellen und lernten so, was der Unterschied zwischen Distance Learning und Homeschooling ist und wie man Eltern in dieser herausfordernden Zeit als Lehrer*in unterstützt und nicht überfordert.
Überfordernd war vor allem auch die Zeit zu Beginn der Corona-Maßnahmen – zum Beispiel mit dem Umstieg von Präsenz- auf Distanzlehre. Wie haben Sie diesen Umstieg an Ihrer Hochschule erlebt?
Zuliani: Ich fand diesen Umstieg sehr spannend und bin auch mit großer Neugier an die digitale Lehre herangegangen. Als Lehrende habe ich schnell gemerkt, worauf es bei guten Online-Seminaren ankommt: Gute Online-Vorlesungen brauchen präzise Vorbereitung, fast wie ein Drehbuch. Die Sessions dürfen nicht zu lange oder langweilig sein und der Stoff muss unglaublich komprimiert werden. Als Lehrender darf man nicht „Präsenz” denken – digitale Lehre ist nicht einfach eine Präsenzvorlesung mit Videoübertragung. Man braucht Abwechslung und Interaktion (zum Beispiel in Break-Out-Rooms, mit Stimmungsbildern oder Quizzes) und ganz klare Spiel- und Benimmregeln. Online-Seminare sind sehr anstrengend, deshalb müssen sie – zusammengefasst – klar, komprimiert und interaktiv sein.
Wie wird die Corona-bedingte Distanzlehre die Hochschulen nach der Krise verändern?
Zuliani: Es wird sich in der Fort- und Weiterbildung der Lehrenden einiges tun, zum Beispiel mit Webinaren oder Online-Tagungen. In ersten Fortbildungen während der Corona-Krise ging es vor allem um Tools, die man für die digitale Lehre verwenden kann. Die nächsten Schritte werden Datenschutz- und Sicherheitsthemen sein. Man wird weiterforschen, wie uns die Corona-Krise gesamtgesellschaftlich und im hochschulischen Kontext verändert.
Auf welche Weiterentwicklungen in der digitalen Lehre hoffen Sie?
Zuliani: Ich erwarte mir, dass digitale Medien in jedem Unterricht selbstverständlich eingesetzt werden – und das mit Hausverstand. Es muss nicht alles und nicht immer digital sein, aber die Option, digital zu unterrichten, sollte selbstverständlich sein. Ich erwarte auch, dass jede/r Pädagog*in auch ein Stück weit Medienpädagog*in ist. Das bedeutet zu wissen, welchen gesellschaftskulturellen Hintergrund digitale Lehre hat und mit welcher technischen Perspektive und welchem Nutzen man die digitalen Medien einsetzt. Der kulturelle Wandel ist ein Prozess, der Schritt für Schritt mit der gesellschaftlichen Transformation geht. Ich denke, wir sind da auf einem guten Weg, sollten aber noch mehr darüber reden.
Die Medienbildung ist bereits Bestandteil des Lehramtsstudiums. Warum ist es Ihnen so wichtig, die zukünftigen Lehrer*innen auch zu Medienpädagog*innen auszubilden?
Zuliani: Digitale Medien sind bereits eine Lebenswelt der Schüler*innen – Smartphones gehören einfach dazu. Deshalb muss man ihnen als Lehrer*in auch beibringen, mit dieser Lebenswelt umzugehen – um ihnen Sicherheit zu geben, um ihnen zu zeigen, wie man die Geräte nutzbringend einsetzen kann. Sie sollen lernen, dass ein Handy nicht nur ein Spielzeug ist, sondern dass man es auch für anderes nutzen kann – um Kalender zu führen, zu lernen, zu recherchieren. Genauso wie man lernt, sich im Straßenverkehr zurecht zu finden, sollen sie auch lernen, mit diesem dritten Raum, der digitalen Welt, umzugehen.
Die Theorie der digitalen Welt als dritten Raum wurde vom Bildungs- und Digitalexperten Thomas Damberger entwickelt. In seinem Vortrag „Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter” betont er die Wichtigkeit von Medienkompetenz im digitalen Transformationsprozess. Barbara Zuliani beruft sich im Interview mehrmals auf diesen Vortrag von Damberger, nachzulesen im Studioheft des ORF Vorarlberg (ab Seite 55).
Wie hat sich die Ausbildung der Lehramtsstudierenden in Richtung digitale Medien verändert?
Zuliani: Es sollte kein Studierender das Haus verlassen, wenn er oder sie nicht neben der fachlichen Expertise auch den pädagogisch und didaktisch begründeten Einsatz digitaler Medien beherrscht. Dabei sollte die Medienpädagogik sowohl in der Fachdidaktik als auch in der Bildungswissenschaft immer mitgedacht werden. So werden die angehenden Lehrer*innen bestmöglich ausgebildet, damit diese ihre künftigen Schüler*innen auf die digitale Welt vorbereiten können.
Lehrende, die in der Medienpädagogik ausgebildet sind, treffen auf Schüler*innen oder Studierende, denen Medienkompetenzen mitgegeben wurden - das klingt doch nach der perfekten Grundlage für die digitale Lehre. Ist Medienbildung das Geheimnis guter digitaler Lehre?
Zuliani: Nur Medienbildung – nein. Es gehört Fachexpertise und Menschlichkeit dazu – und die Rahmenbedingungen müssen passen. Am Beginn der Corona-Krise war man in Österreich zum Beispiel erstmal geschockt: Was soll man tun? Wie lehrt man digital? Gibt es überhaupt die nötige Infrastruktur für digitale Lehre? Nur wenige Hochschulen und Schulen waren vorbereitet und haben schon vor der Krise stark auf eine digitale Lernumgebung gesetzt.
Hier braucht es Fachexpertise und die Rahmenbedingungen müssen – zum Beispiel mit passenden Arbeitsgeräten und digitalen Tools – durch den Schulerhalter oder die Hochschule zur Verfügung gestellt werden. Die Eduthek, über die wir zu Beginn gesprochen haben, ist hier ein gutes Beispiel, wie schnell man gemeinsam die passenden Rahmenbedingungen für digitale Lehre schaffen kann.
Unter diesen Voraussetzungen wird die digitale Lehre ein Erfolg. Vielen Dank für das Gespräch.
Barbara Zuliani unterrichtet an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz am Institut für Medienbildung. Sie widmet sich vor allem Projekten wie aktuell der Eduthek des BMBWF oder IMST (Kompetenzorientiertes Lernen mit digitalen Medien). Zuliani ist seit zehn Jahren Apple Professional Learning Specialist und war Vorreiterin im Einsatz des iPads im Volksschulbereich.