Von ECTS-Gerechtigkeit und Studierbarkeit: Neuerungen der UG-Novelle

Im Wintersemester 2022/23 wird sie in Kraft treten: die Novelle zum Universitätsgesetz. Mit der umstrittenen Einführung der Mindeststudienleistung wird damit wieder ein verstärkter Fokus auf ECTS-Gerechtigkeit und Studierbarkeit liegen. Aber was genau bedeuten diese zwei Faktoren für Studierende und Hochschulen?

25.05.2021

von Isabella Zick

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Seit 2002 ist das Universitätsgesetz (UG) in Kraft. Damals hat es das österreichische Hochschulwesen von Grund auf neu geordnet – zum Beispiel wurden Universitäten durch das UG zu juristischen Personen und die Medizinischen Fakultäten in Graz, Innsbruck und Wien zu eigenen Universitäten. 20 Jahre später soll es nun erneut zu vielen Neuerungen kommen. Seit rund einem Jahr wird darüber in der Politik, von Hochschulen und der Hochschüler*innenschaft heiß diskutiert. Mittlerweile passierte die „UG-Novelle” den Wissenschaftsausschuss des Nationalrats. Mit Wintersemester 2022/23 wird sie in Kraft treten.

UG-Novelle: Die umstrittene Mindeststudienleistung

Besonders kritisch sehen Studierendenvertreter*innen die Einführung einer Mindeststudienleistung. Ab dem Wintersemester 2022/23 wird diese für Studienanfänger*innen gelten. Mit dieser Neuerung müssen Studierende  in vier Semestern zumindest 16 ECTS absolvieren. Wenn diese Leistung nicht erbracht wird, werden Studierende für zwei Jahre für dieses Studium an dieser Hochschule gesperrt.

Der ursprünglichen Forderung von Bildungsminister Heinz Faßmann von zehn Jahren Sperre stellte sich die Universitätskonferenz (UNIKO) entgegen: Zehn Jahre seien viel zu lang und „im Hinblick auf die Gestaltung der individuellen Bildungswege von Studierenden (...) zu einschränkend”, stellt diese in einer Presseaussendung klar.  Stattdessen wurde es eine zweijährige Sperre, in der den Studierenden aber trotzdem Möglichkeiten offenstehen, ihr Studienfach weiterzuverfolgen. Studierende können dasselbe Fach an einer anderen Universität, Pädagogischen Hochschule, Fachhochschule oder Privatuniversität belegen, so das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) zur UG-Novelle.

Was sind ECTS?

Die bereits genannten ECTS – kurz für: European Credit Transfer and Accumulation System – werden seit der Einführung des Bologna-Prozesses 1999 fleißig von den Studierenden gesammelt. Denn mit jedem gesammelten ECTS-Punkt kommt man dem Abschluss ein bisschen näher. Ein ECTS entspricht dabei in Österreich rund 25 Stunden Arbeitsaufwand. EU-weit variieren diese Stundensätze zwischen 20 und 30 Stunden.

16 ECTS-Punkte – also rund 400 Arbeitsstunden – müssen im Rahmen der neuen Mindeststudienleistung im Laufe der ersten beiden Studienjahre absolviert werden. Zum Vergleich: Für einen Bachelorabschluss in Österreich mit der vorgesehenen Zeit von drei Jahren braucht man 180 ECTS.

Alles eine Frage der ECTS-Gerechtigkeit

Wenn kritische Stimmen rund um die Mindeststudienleistung laut werden, dann geht es meist um eines der folgenden Probleme:

  • Erwerbstätigkeit von Studierenden

  • Betreuungspflichten von Studierenden

  • Mangelnde ECTS-Gerechtigkeit und Studierbarkeit

Zu all diesen Punkten werden im Rahmen der Studierenden-Sozialerhebung regelmäßig Daten erhoben. Die Erwerbstätigkeit von Studierenden, um sich das Studium überhaupt erst finanzieren zu können, und eventuelle Betreuungspflichten sind zwei von vielen Faktoren, die Studierende daran hindern können, ihr Studium in der gewünschten Zügigkeit zu absolvieren. In diesem Artikel möchten wir den Fokus aber vor allem auf Punkt 3 legen: die ECTS-Gerechtigkeit.

Mit der Workloaderhebung tracken Studierende täglich ihren Arbeitsaufwand für eine Lehrveranstaltung. Mit den daraus generierten Daten können die Curricula weiter optimiert werden.

Laut BMBWF bedeutet ECTS-Gerechtigkeit, „dass der Arbeitsaufwand, der für eine Lehrveranstaltung oder Prüfung aufgebracht werden muss, auch entsprechend ausgewiesen werden muss”. Der Arbeitsaufwand bzw. Workload soll also angemessen und gerecht auf die ECTS im Curriculum aufgeteilt werden. Dass diese ECTS-Gerechtigkeit auch eingehalten wird, muss jede Hochschule im Rahmen der Qualitätssicherung (festgelegt im UG §14) selbst evaluieren. Wie genau das passiert, bleibt jeder Hochschule selbst überlassen – meist wird auf Lehrveranstaltungsevaluierungen oder wissenschaftliche Evaluierungsprojekte zurückgegriffen. Auch Studo unterstützt Hochschulen mit der Workloaderhebung dabei, die ECTS-Gerechtigkeit und Studierbarkeit zu fördern.

Was macht ein Studium „studierbar”?

Studierbarkeit bedeutet, dass die Studien „so ausgestaltet sein müssen, dass Studierende sie tatsächlich in der vorgeschriebenen Zeit (= Regelstudienzeit) absolvieren können”, schreibt das BMBWF. Die Hochschulen müssen also darauf Wert legen, die entsprechenden Rahmenbedingungen und Strukturen zu schaffen, die ein Studium in Regelstudienzeit möglich machen. Darunter fallen Termine von Prüfungen, Fristen vor dem Semesterstart, Unterstützungen für Studierende beim Studieneintritt oder bei Studienwechsel und natürlich: die angemessene Verteilung des Workloads, die ECTS-Gerechtigkeit.

Warum Studierende nicht in Regelstudienzeit studieren

Zu schwierig, zu viel Workload, zu viele weitere Verpflichtungen – das sind die typischen Gründe, warum Studierende nicht in Regelstudienzeit studieren. Es könnten aber genauso mentale Belastungen, finanzielle Schwierigkeiten oder Unsicherheiten im Bezug auf die Studienwahl genannt werden. Kurz: die Lebensrealitäten der Studierenden sind vielfältig und genauso vielfältig sind die Gründe, warum Studierende ihr Studium nicht in Regelstudienzeit absolvieren. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Studierenden-Sozialerhebung aus dem Jahr 2019:

65 % der Studierenden sind erwerbstätig, im Durchschnitt arbeiten sie 20,5 Stunden pro Woche. Diese Zahl ist seit 2009 kontinuierlich gestiegen. Der Hauptgrund (69 %) für die Erwerbstätigkeit ist: die Erwerbstätigkeit ist „zur Bestreitung meiner Lebenshaltungskosten unbedingt notwendig”. Das ist nicht nur im fortgeschrittenen Studienverlauf so, sondern auch schon bei den Studienanfänger*innen: 44 % der Studierenden im ersten Studienjahr arbeiten. Noch eine Auffälligkeit: die Bildungsherkunft der Studierenden spielt bei der Erwerbstätigkeit eine große Rolle. „AkademikerInnen-Kinder sind am seltensten und Studierende, deren Eltern über maximal einen Pflichtschulabschluss verfügen, am häufigsten erwerbstätig”, kommt die Studierenden-Sozialerhebung zum Schluss.

Neben der Erwerbstätigkeit ist auch der Zeitaufwand für Kinderbetreuung ein Grund, warum Studierende in geringerer Intensität studieren. Je jünger die Kinder sind, desto geringer ist auch die Studienintensität – sowohl bei Männern als auch bei Frauen.

Studierende sind mit vielen Herausforderungen konfrontiert - das wirkt sich oftmals auf die Studienzeit aus. - Foto: Andrea Piacquadio, Pexels

Auch mentale Herausforderungen können das Studium in Regelstudienzeit verhindern: Stress im Studium, Prüfungs- oder Versagensängste oder depressive Verstimmungen sind Hindernisse, mit denen viele Studierende zu kämpfen haben und die den planmäßigen Fortschritt im Studium verzögern.

UG-Novelle: Ein Fazit

Die Gründe, warum Studierende ihren Abschluss nicht in Regelstudienzeit machen, sind also mannigfaltig. Das haben auch das BMBWF und die Hochschulen erkannt und wirken mit Angeboten wie der Studienbeihilfe, Stipendien und der psychologischen Studierendenberatung dagegen. Bei der aktuellen Debatte rund um die UG-Novelle wurden diese Argumente von Seiten der Studierendenvertretungen immer wieder eingebracht – sie haben dazu beigetragen, beispielsweise die Mindeststudienleistung auf 16 ECTS zu senken.

Auch Hochschulen können dazu beitragen, ihre Studien „studierbarer” zu machen – mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten der Studierenden im Hinterkopf. Die ECTS-Gerechtigkeit und die Studierbarkeit sind zwei Werte, anhand derer Curricula weiterentwickelt werden können. Grundvoraussetzung dafür: eine ausreichende Datengrundlage mit Rückmeldungen der Studierenden und Lehrenden und breitere Erhebungen wie die Studierenden-Sozialerhebung. Mit diesen Daten ist es möglich, Maßnahmen zu setzen, um Studien „studierbarer” zu machen – für alle Studierenden.

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