Nach drei Semestern im „Homeoffice” sollen Studierende im kommenden Herbst nun endlich wieder an die Hochschulen zurückkehren. Lehrveranstaltungen in Präsenz, spontane Begegnungen am Campus und Veranstaltungen – das alles soll mit genügend Sicherheitsmaßnahmen möglich sein. Die Freude über die Rückkehr zum „alten Normal” überschattet die Frage: Was passiert jetzt mit der digitalen Lehre? Wir haben uns diese Frage gestellt und uns auf die Suche nach jenen digitalen Elementen gemacht, die uns auch nach der Krise erhalten bleiben werden.
Wintersemester 2021/22: Regelungen an österreichischen und deutschen Hochschulen
Die „3-G-Regel” kommt in Österreich in sehr vielen Lebensbereichen zum Einsatz. Auch alle geimpften, getesteten oder genesenen Studierenden sollen so im Wintersemester 2021/22 wieder an Lehrveranstaltungen oder Prüfungen in Präsenz teilnehmen. Eine Verlängerung des 2. COVID-19-Hochschulgesetzes bis Ende Februar 2022 macht die „3-G-Regel” zur Grundvoraussetzung für die Präsenzlehre. Aufgrund der Autonomie der österreichischen Hochschulen liegt die finale Entscheidung über Präsenz- oder Fernlehre aber bei den Rektoraten. Diese können festlegen, ob und in welchem Ausmaß an ihrer Hochschule Lehrveranstaltungen und Co. abgehalten werden. Denn, so das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF), „sie kennen die jeweiligen Gegebenheiten und Voraussetzungen vor Ort am besten”.
In Deutschland hält man sich mit der Ankündigung von Öffnungsschritten derzeit noch zurück: Zwar haben einige Hochschulen für das Wintersemester 2021/22 eine Rückkehr zur Präsenz angekündigt – „allerdings in Abhängigkeit von der Inzidenz”, schreibt der MDR. Mit Impfungen und Tests soll das Wintersemester beispielsweise an der Universität Regensburg wieder „recht normal” ablaufen, zitiert der Bayerische Rundfunk (BR) den dortigen Vizepräsident Dr. Korber. Man plant Lehrveranstaltungen in Präsenz, jedoch soll „jede Veranstaltung schnell ins Digitale wechseln können, falls die Pandemie wieder einen Strich durch die Rechnung macht”.
Lehrformen: Alles will zurück auf Präsenz?
Was sich aus den verschiedenen Ankündigungen und Statements zum künftigen Hochschulbetrieb heraushören lässt: man möchte unbedingt zurück zur Präsenzlehre. Natürlich würden die Hochschulen im Akutfall zur digitalen Lehre zurückkehren und einige digitale Elemente bleiben auch – aber auf reine digitale Lehre oder ganz bewusst auf Blended Learning bzw. hybride Lehre möchte offenbar niemand setzen. War die digitale Lehre nur das notwendige Übel in der Krise?
Die Fernlehre während der letzten drei Semester war für Studierende und Lehrende mit großen Herausforderungen verbunden. Das beweisen beispielsweise Befragungen des BMBWF oder von Studo – zitiert von derStandard.at. Trotzdem gibt es auch positive Auswirkungen der digitalen Lehre, mit denen vor der Krise vermutlich kaum jemand gerechnet hätte:
Die Fernlehre ermöglichte eine Entlastung von Studierenden mit Betreuungspflichten und berufstätigen Studierenden aufgrund der höheren Flexibilität im Online-Studium. Eine „zugänglichere und offenere Uni” sei dadurch möglich – für Studierende mit verschiedensten Lebensrealitäten: So zeigt beispielsweise ein Bericht des Spiegels über Studierende mit ADHS und Autismus, dass diese durch die veränderten Lernbedingungen nun in ihrem eigenen Rhythmus und ohne Stress durch Interaktionen am Campus erfolgreich am Studium teilnehmen konnten.
Diese digitalen Elemente bleiben auch in Zukunft erhalten
Durch die Corona-Krise haben Studierende und Hochschulen viele digitalen Elemente in der Lehre kennen- und auch zu schätzen gelernt. Besonders Videokonferenzsysteme haben einen Boom erlebt und werden wohl auch in Zukunft für kurzfristige Treffen mit Studierenden, Sprechstunden und kleinere Veranstaltungen zum Einsatz kommen, so die Präsidentin der Universität Augsburg Sabine Doering-Manteuffel im Gespräch mit dem BR. Auch das Streamen von Vorlesungen, die dadurch auch nicht-linear konsumiert werden können, wollen Hochschulen beibehalten. Hier spielt auch die Inklusivität hinein: Durch das zeit- und ortsunabhängige Streamen von Vorlesungen „könne das Studium beispielsweise für junge Menschen mit Kindern oder zu pflegenden Angehörigen erleichtert werden”.
In der Publikation „Entwicklungspfade für Hochschule und Lehre nach der Corona-Pandemie” von Sälzle, Vogt, Blank, Bleicher, Scholz et al. werden ebenfalls einige Good Practices der digitalen Lehre genannt, die auch zukünftig die Lehre ergänzen können. Zum Beispiel der Inverted Classroom, ein Paradebeispiel für asynchrone Lehre. Hier bereiten sich Studierende im Vorfeld auf die Lehrveranstaltung vor – unterstützt von Erklärvideos, Literatur und Co. – und tauschen sich anschließend in der Präsenzzeit in vertieften Übungen und Diskussionen aus. So wird die Wissensvermittlung aus der Präsenz ausgelagert und die gemeinsame Zeit (online oder am Campus) für Diskurse genutzt. Ebenfalls als sehr wichtig wird die tutorielle Begleitung der Studierenden während Projektarbeiten empfunden, die durch Videokonferenzen stark vereinfacht wurde. Der Kontakt der Projektgruppen per Videokonferenz in Kombination („Tandemarbeit”) mit Lerninhalten auf Lernplattformen wird als weitere Good Practice hervorgehoben (Sälzle et al., S. 122ff).
Nur online: diese Hochschulen setzen auch „nach Corona” auf Online-Lehre
Dass Studieren auch funktioniert, wenn die Lehre ausschließlich online stattfindet, beweisen die verschiedenen Online-Studiengänge in Österreich und Deutschland. Neben großen Playern wie der FernUniversität in Hagen bieten auch kleinere Hochschulen reine Online-Studiengänge an. Zum Beispiel können Studierende am Management Center Innsbruck aus acht verschiedenen Online-Studiengängen wählen. Einblicke in die dortigen Blended-Learning-Ansätze hat uns e-Learning-Expertin Claudia Mössenlechner gegeben. In Österreich bieten auch die FH Wiener Neustadt (Studiengang: MedTech) und die FH Oberösterreich (Studiengang: Energy Informatics) Online-Studiengänge an.
Fazit: Die Mischung macht's
Studierende und Lehrende wollen zurück an den Campus – und das ist auch sehr verständlich. Die Interaktion in der Lehrveranstaltung und die sozialen Kontakte mit Studienkolleg*innen sind unglaublich wertvoll und durch digitale Lernplattformen und Videokonferenzen nicht zu ersetzen. Trotzdem kann man den Digitalisierungsschub der letzten drei Semester nicht einfach im Sinne der „alten Normalität” vergessen. Denn das vergangene Jahr hat gezeigt: digitale Lehre funktioniert. Trotz Pandemie konnte über Videokonferenz-Tools ein intensiver Kontakt zu den Studierenden gepflegt werden, man fand Alternativen zum klassischen Hörsaal-Setting und machte zeit- und ortsunabhängiges Studieren möglich. Diese Vorteile sprechen für den Einsatz digitaler Lehre im Studium – als Ergänzung, als „neues Normal”. Denn wie so oft gilt auch hier: die Mischung macht’s!