Ein Jahr Corona: Was haben Hochschulen gelernt?

Vor rund einem Jahr sorgte das Coronavirus für einen tiefgreifenden Einschnitt in der Geschichte der österreichischen Hochschulen. Nun blicken wir zurück: Ein Gespräch mit Claudia Mössenlechner über den Umstieg von Präsenz auf Fernunterricht, Vorteile und Grenzen der digitalen Lehre und die entscheidende Rolle von gutem Projektmanagement.

12.04.2021

von Isabella Zick

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Die Nachrichten der Tiroler Tageszeitung und DiePresse vom 10. März 2020 kündigten an, was bis heute dauern wird: die Schließungen des Lehrbetriebs an den österreichischen Hochschulen. Trotz zwischenzeitlicher Lockerungen ist der Wechsel von Präsenz- auf Fernunterricht bis heute in Kraft. In der Blog-Serie „Ein Jahr Corona: Was haben wir gelernt?” werfen wir einen Blick auf die Neuerungen und Erkenntnisse, die die Pandemie bewirkt hat. Gemeinsam mit Claudia Mössenlechner, Leiterin des Departments für Learning Solutions am Management Center Innsbruck (MCI), widmen wir uns den gelernten Lektionen der Hochschulen.

Herausforderung Nr. 1: Projektmanagement in der Lehre

“Anfang März 2020 waren wir am MCI bereits alle im Homeoffice. Es war für uns absehbar, dass da jetzt etwas kommt und wir schnell handeln müssen”, beginnt Claudia Mössenlechner zu erzählen. Sie leitet die Abteilung für Learning Solutions am Management Center Innsbruck, die sie seit 2014 aufgebaut hat, und beschäftigt sich dort mit der Durchführung und Organisation des Lehr- und Prüfungsbetriebes. Mössenlechner hat den ersten Online-Studiengang am MCI konzipiert und umgesetzt - heute gibt es bereits neun Studiengänge dieser Art. “Das, was wir über Online-Lehre wussten und bisher in den Online-Studiengängen ausprobiert haben, musste nun bei all unseren Lehrveranstaltungen umgesetzt werden”, erklärt Mössenlechner, “wir waren nicht die Wunderwuzzis, die in einer Woche von null auf hundert  gefahren sind. Wir hatten eine gute Grundlage und die galt es, überall umzusetzen.”

Bei der Umsetzung von Präsenz- auf digitale Lehre spielte ein Faktor eine besonders wichtige Rolle: Projektmanagement. Rund 600 Lehrveranstaltungen mussten am MCI online ausgerollt und die Online-Kurse mit Lernmaterialien befüllt werden. Dazu kamen kurze Trainingssessions für Lehrende, die bisher noch kaum mit den Online-Tools des MCI gearbeitet haben, außerdem Leitfäden für die digitale Lehre und Infoseiten, auf denen Studierende Tipps zur Software, sowie zu Lerntechniken und Zeitmanagement im Online-Studium fanden.

Online-Unterricht fordert neue Lerntechniken von Studierenden und Lehrmethoden von Lehrenden. - Foto: Studo

Projektmanagement spielte bei der anfänglichen Umstellung auf Fernunterricht eine große Rolle, aber auch im Alltag des digitalen Lehrens. Hier galt es, die Balance zwischen dem Frontalunterricht in Webinaren und asynchroner Lehre zu finden. “Für Lehrende ist ein Webinar mit Powerpoint-Präsentation am Anfang schneller umsetzbar. Im Laufe der Zeit haben wir allerdings begonnen, Überzeugungsarbeit in der Koordination zu leisten, um die Medienvielfalt und Interaktion zu fördern”, sagt Mössenlechner. Denn neben dem klassischen Webinar, das zu Beginn meist als Online-Vorlesung verstanden wurde, gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, um in Echtzeit (synchron) oder zeitverzögert (asynchron) zu unterrichten. Mehr dazu hier.

Auch die Organisationsstruktur spielt im Projektmanagement eine große Rolle. “Die Größe der Hochschule hat eine große Auswirkung auf die Art, wie die Organisation gestaltet ist und wie schnell Entscheidungen getroffen werden können”, erklärt Mössenlechner, “Größe und Organisationsform der Hochschule sind ausschlaggebende Faktoren für den Erfolg digitaler Lehre. Nicht zu vernachlässigen sind natürlich auch die Erfahrungen in der Online-Lehre und die bereits vorhandene Infrastruktur.”

Diese Infrastruktur und das Know-how durch die Online-Studiengänge spielte Mössenlechners Team in die Hände. Auch viele andere Hochschulen hatten sehr gute Voraussetzungen für den Fernunterricht mit eigenen, bereits vor der Krise gut genutzten Programmen. “Alle Hochschulen hatten bereits eigene Lernmanagement-Systeme in Verwendung, trotzdem gab es eine interessante Entwicklung: viele wechselten während der Krise zu Microsoft”, erzählt die E-Learning-Expertin, “ich verstehe das: in der Organisation, in der Administration wird Microsoft verwendet, die Studierenden kennen die Programme. Es ist trotzdem spannend: die Infrastruktur war vorhanden und man hat sie gekannt - und man hat trotzdem gewechselt.”

Herausforderung Nr. 2: Das Mindset

Am Beginn der Krise wie auch heute spielt in der digitalen Lehre auch das Mindset eine ganz wichtige Rolle. “Wie schnell kann man seine Leute motivieren, digitale Lehre umzusetzen?”, ist für Claudia Mössenlechner eine wichtige Frage - genauso wie, “bei Lehrenden, die noch Scheu vor der digitalen Lehre haben: Wer kommuniziert dann innerhalb der Organisation mit diesen Lehrenden?”

Diese Fragen standen im Frühjahr 2020 auch am Management Center Innsbruck im Raum. Neben den “Early Adoptern”, die sich sehr gerne mit den Möglichkeiten der digitalen Lehre beschäftigten, gab es auch jene, die es erst von dieser Lehrform zu überzeugen galt. Sowohl bei den Lehrenden als auch bei den Studierenden, wie Mössenlechner anmerkt. “Die Corona-Krise war für uns ein großer Schub für uns in der Organisationsentwicklung. Wir konnten die digitale Lehre in allen Studiengängen weiter vorantreiben, weil es die Situation erforderte.”

Egal ob asynchrone oder synchrone Lehre: "Wichtig ist, dass die Medienvielfalt stimmt", sagt Claudia Mössenlechner. - Foto: Vanessa Garcia, Pexels

Der Mindshift zum Digitalen heißt für Lehrende und Studierende aber oft zunächst: mehr Arbeit. „Zuhören ist vermeintlich leichter, aber auch langweiliger und über lange Strecken ist Zuhören im Sinne des Lernerfolgs nicht zielführend. Wir müssen uns miteinander austauschen und Gelerntes anwenden, um es zu verstehen”, betont Claudia Mössenlechner. Studierende und Lehrende sind an den Frontalunterricht gewöhnt - neue Methoden und das aktive Mitarbeiten und Mitdenken sind im digitalen Unterricht aber besonders gefordert.

Austausch zwischen Hochschulen und BMBWF

24/7 arbeitete das Team rund um Claudia Mössenlechner zu Beginn der Pandemie an der Umsetzung des Fernunterrichts. Denn in dieser ersten, heißen Phase musste die Lehre so schnell wie möglich in den digitalen Raum verlegt werden. Doch schnell kamen weitere - strukturelle - Fragestellungen hinzu, die man nicht im Alleingang lösen konnte. Wie wird gewährleistet, dass Studierende ihr Studium wie geplant abschließen können? Worauf muss bei Online-Prüfungen geachtet werden? Was passiert mit den Praktika und Auslandssemester der Studierenden?

“Zu Beginn der Pandemie mussten wir uns ganz schnell mit anderen Rektoraten an FHs und Universitäten akkordieren. Die regelmäßigen Sitzungen mit der Fachhochschulkonferenz oder dem Bundesministerium für Bildung waren sehr hilfreich, weil sie Empfehlungen auf Basis der Gesetzestexte abgaben und man schnell Sicherheit für die Studierenden schaffen konnte”, erzählt Mössenlechner. Dieser intensive Austausch ermöglichte es, einen sicheren Rahmen für die Studierenden zu schaffen - betreffend der Corona-Maßnahmen aber auch für die Abläufe im Studium.

Prüfungen als Grenze der digitalen Lehre

Grenzen in der digitalen Lehre seien nach wie vor da und werden nicht so schnell verschwinden, meint Claudia Mössenlechner. Das liegt vor allem an der Problematik von Online-Prüfungen. Die Authentifizierung von Prüfungsteilnehmer*innen, Datenschutzfragen und Stabilität von Bandbreiten im Netz stellen die Prüfungssicherheit vor Herausforderungen. “Die Person, die die erste zündende Idee für ein sicheres Online-Prüfungssystem hat, wird superreich”, lacht Mössenlechner.

Einen anderen Zugang zur Prüfungsproblematik bietet das Format der “Open-Book-Prüfung”. Das Prüfungsformat der “Kofferklausuren” erlaubt es den Studierenden, offene Fragen ganz legal mithilfe von Lernunterlagen und Literatur zu beantworten. Diese Prüfung entspräche der Lebenswirklichkeit, in der das gesammelte Wissen des Internets stets verfügbar ist, betonen Expert*innen. Ein gute Open-Book-Prüfung im Sinne der Fragestellung zu formulieren ist allerdings nicht einfach. “Ein Open-Book-Exam basiert auf Verständnisfragen und will auch das kritische Denken anregen. Oftmals fließt in die Erstellung der Fragen sehr viel Zeit und Wissen”, sagt Mössenlechner, “hier müssen die Hochschulen gemeinsam lernen und auch den Anteil der Lehrenden, die solche Prüfungen erstellen können, erhöhen.”

Online-Prüfungen sind eine der größten Herausforderungen für Hochschulen in der digitalen Lehre. - Foto: Vlada Karpovich, Pexels

Wie in der digitalen Lehre, braucht es auch bei Prüfungen die Bereitschaft, sich auf online einzulassen. Neben der Infrastruktur, die die Sicherheit der Prüfung gewährleisten soll, braucht es auch das Vertrauen in die Studierenden, Online-Prüfungen nach bestem Wissen und Gewissen durchzuführen.

Soziale Interaktion als gesamtgesellschaftliche Herausforderung

Befragungen von Studierenden (zum Beispiel des BMBWF oder Studo) erkannten eine weitere Grenze der digitalen Lehre: die fehlende soziale Interaktion. Diese ist ein riesiges und wichtiges Thema während der COVID-19-Pandemie - allerdings im gesamtgesellschaftlichen Kontext. “Aktuell gibt es im gesamten gesellschaftlichen Leben wenig soziale Interaktion. Deswegen kann man nicht die gesamte Diskussion um soziale Interaktion und die damit einhergehenden Herausforderungen den Hochschulen zuschreiben”, sagt Mössenlechner. Hier sollte man immer die gesamte Situation im Blick haben. 

Natürlich ist die Interaktion wichtig in der Lehre - denn Lernen ist ein sozialer Prozess, der vom Austausch lebt. Wenn die Bereitschaft der Studierenden dazu da ist, funktioniert dieser Austausch laut Mössenlechner auch online. Den informellen, privaten Austausch in Jahrgängen oder Lerngruppen müssen sich die Studierenden selbst organisieren. “Aber es ist wichtig, als Hochschule die Bereitschaft zu zeigen, dass man da ist, wenn die Studierenden etwas brauchen. Das sind kommunikative Inhalte, die wir immer wieder rausschicken, damit uns da niemand verloren geht.”

“Vollends im digitalen Raum angekommen”

Welche Lektionen zieht E-Learning-Expertin Claudia Mössenlechner aus diesem Corona Jahr? Die digitale Lehre hat einen extremen Schub bekommen und viele dieser Veränderungen bleiben auch “nach der Krise” erhalten. Online-Elemente in der Präsenzlehre, asynchrone Lehre oder der hybride Campus sind gekommen, um zu bleiben. “Wir wollen zurück zur Normalität, habe ich im Frühjahr noch ganz oft gehört”, erinnert sich Mössenlechner”, mittlerweile haben aber auch die größten Skeptiker verstanden: So wie es war, wird’s nicht mehr. Wir werden in eine neue, erweiterte Normalität gehen.” Es habe eine Entwicklung im Kopf stattgefunden - so stark hat Corona in Unternehmen, Bildungsinstitutionen und die Gesellschaft eingegriffen.

Für Mössenlechner ist klar: sie ist durch Corona nun vollends im digitalen Raum angekommen. Aber auch sie sehnt sich mittlerweile wieder nach Kontakt im echten Leben: “Vor Corona hätte ich gesagt: persönlicher Kontakt online oder in Präsenz ist das gleiche. Aber die Präsenz fehlt mir. Und am Ende macht es wahrscheinlich - wie immer - die Mischung aus.”

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